Inmitten von schulischem Alltag und hektischem Gewusel bekommt der Donnerstag, der 13.02.2025, eine ganz besondere Bedeutung – Anna Strishkowa (ehem. Ivanova), Holocaust-Überlebende, besucht zusammen mit Luigi Toscano das Moll-Gymnasium und gewährt den Schüler:innen einen Einblick in ihre Vergangenheit.

„Schwarzer Zucker, rotes Blut“ – ein Film vom Mannheimer Fotografen Luigi Toscano. Dieser Name ist bereits häufiger am Moll aufgetaucht, vor drei Jahren besonders häufig.

Im November 2022 kam im Rahmen der "Projekttage Deutsche Geschichte" eine Ausstellung unter dem Namen „Gegen das Vergessen“ ans Moll, welche aus überdimensionalen Foto-Porträts von Menschen besteht, die den Holocaust überlebt haben. Es geht nicht nur darum, ihre Geschichte einzufangen und zu mahnen, sondern, insbesondere in heutigen Zeiten, gegen den Rechtsruck der Gesellschaft vorzugehen, gegen das Vergessen der Geschichte. So reiste Luigi Toscano jahrelang um die Welt, um den Menschen und ihrem einstigen Leid zu begegnen. Um ihnen eine Stimme zu geben, solange es möglich ist. Eine von ihnen ist Anna Strishkowa, die Luigi Toscano 2014 in der Ukraine besucht und porträtiert hatte. Auch sie war 2022 auf dem Schulhof des Moll-Gymnasiums ausgestellt gewesen und hat mit ihrer Geschichte die Gemeinschaft geprägt.

Anna Strishkowa, welche mittlerweile eine enge Freundschaft mit Luigi Toscano verbindet, war als kleines Kind ins Konzentrationslager Auschwitz gekommen, gemeinsam mit ihrer Familie. Doch die Erinnerungen sind blass, die Familie verschwunden, nachdem Anna befreit wird und so beginnt sie zu verdrängen, zu vergessen. Sie wird von einer Familie adoptiert und wächst in einer unbeschwerten Kindheit auf. Bis zu einem Gespräch mit ihrer Adoptivmutter weiß Anna nichts von ihrer anderen Familie. Erst mit der Zeit kommen Fragen auf, erst mit der Zeit beginnt sie, zu hinterfragen. Ohne zu wissen, wie sie wirklich heißt, wann sie geboren wurde, wo sie herkommt, macht Anna sich auf die Suche – vergeblich. Irgendwann lässt sie die Vergangenheit ruhen und lebt die Gegenwart. Bis Luigi Toscano auf die Bildfläche tritt und sich auf die Spuren von Annas Herkunft begibt.

Genau davon handelt der Film „Schwarzer Zucker, rotes Blut“, der im November 2024 erschienen ist und Anna Strishkowas Geschichte erzählt. Eine Dokumentation ihres Lebens, ihrer Erinnerungen, aber zugleich ein Krimi der Vergangenheit. Ehrlich und berührend zeichnet der Film ihre Lebensgeschichte nach, spannend und packend erzählt Luigi Toscano vom Ermitteln der Wahrheit, von Sackgassen und Erfolgen.

Die Jahrgangsstufe 1, die neunten sowie ein Teil der zehnten Klassen durften sich am Donnerstag ebenjenen Film als Grundlage für das darauffolgende Gespräch mit Anna und Olga Strishkowa (Tochter) und Luigi Toscano ansehen.

Die Fragen, welche folgen, sind vielfältig, differenziert und voller Neugier – von der Vergangenheit über die Gegenwart gehen die Fragen der Schüler:innen. Von der Entfernung der KZ-Nummer bis hin zum Ukraine-Krieg, welcher für Anna in besonderem Maße gravierend ist, eine zweite Hölle. Doch sie möchte die Ukraine nicht lange verlassen, denn sie hat schon Hitler überlebt, da würde sie auch noch Putin überleben, so schrieb sie einst an Toscano. Der Krieg in der Ukraine prägt Annas Alltag, immer wieder finden Luftwaffenangriffe, Raketenalarme und Detonationen statt, doch lässt sie sich nicht unterkriegen. Auf die Frage, wie sie denn zu Russland stände, antwortet sie, dass sie seit der Kindheit immer Russisch gesprochen habe und eine Verbrennung sämtlicher russischer Literatur sowieso keinen Einfluss auf den Verlauf des Krieges haben würde. Dennoch habe sie sich dazu entschieden, diese Bücher nicht mehr zu lesen und größtenteils auf Ukrainisch zu reden. Nach einer kurzen Pause fügt Anna hinzu, dass aber nicht alle russischen Menschen böse seien. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg wendet sich Anna mit ihrer Rede an das deutsche Volk, bei dem sie sich „für die Unterstützung in diesem sinnlosen Krieg bedank[t]“. Was deutlich in ihren Worten mitschwingt – ein kleiner Funke der Angst, aber vor allem Stärke und Hoffnung.

Vor dem Hintergrund des Gedenktags der Befreiung von Auschwitz, der erst kürzlich zum 80. Mal begangen wurde, kam die Frage auf, welche Emotionen Anna erlebt hatte, als sie die Gedenkstätte vor Ort besucht hatte. Es war zwar nicht das erste Mal, dass sie wieder dort gewesen sei, aber es war das erste Mal, dass nur 33 Häftlinge gekommen waren. Nur ein Bruchteil derer, die noch vor 20 Jahren an dem Ort der grausamen, menschenverachtenden Erinnerungen zusammengekommen waren, um niemals zu vergessen und für immer zu mahnen. Es wird deutlich, dass immer mehr Überlebende der Konzentrationslager sterben, immer weniger bleiben, um das Vergessen zu verhindern – das zeigt sich klar in Annas und auch Luigis Worten. Doch umso wichtiger ist es, dass junge Menschen, die die Zukunft gestalten werden, einen Einblick in die verbliebenen Erinnerungen erhalten. Einen Moment zum Innehalten. Denn durch das Zuhören, werden auch die Schüler:innen zu Zeitzeugen und können einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten.

Die Relevanz zeigt sich auch in Luigi Toscanos Ausführungen, die sich auf die Frage beziehen, was er jungen Menschen hinsichtlich rechtsextremer Gruppen sagen würde. Dabei wird ein Bezug zur aktuellen Situation in Deutschland hergestellt, insbesondere zu den bevorstehenden Bundestagswahlen am 23. Februar 2025. Luigis Antwort darauf ist ausführlich, so ausführlich wie es ein derart relevantes Thema verdient. Er geht darauf ein, dass sich „so etwas […] nicht einfach widerholen [darf]“ und, dass „wir Haltung einnehmen müssen“, um die Demokratie in ihrem friedlichen Funktionieren bewahren zu können. Beispielhaft für das Zeichensetzen, von dem Toscano spricht, ist sein Bundesverdienstkreuz, welches er aus Protest gegen den Schulterschluss von CDU/CSU mit der AfD, wieder zurückgegeben hat. Es war ein Verrat einer demokratischen Partei und für ihn ein Weg, seinen Missfallen auszudrücken. Ihm schloss sich zudem ein Holocaustüberlebender an, der zusammen mit Luigi Toscano ebenfalls sein Bundesverdienstkreuz an Herrn Steinmeier übergab.

Die Fragen der Schüler:innen nahmen nach anfänglicher Zurückhaltung schier kein Ende und es war bemerkenswert, wie viel Neugier, wie viel Wissen die Schülerinnen und Schüler mitbrachten, wie viel Verständnis.

Nicht nur während des Gesprächs, sondern schon während des Films, der bei allen eine bedrückte, emotionale Stimmung hinterließ. Die Worte Annas zu diesem Film waren simpel, doch so bedeutungsvoll, dass sie noch lange nachklangen, dass auch Frau Dr. Mark diese in ihrer Abschlussrede aufgriff. Dabei geht es um die Hauptidee der Dokumentation. Anna Strishkowa fragte, worin die Zuhörer:innen die Hauptidee sähen – denn das sei, ihrer Meinung nach, sehr wichtig:

„Die Hauptidee ist nicht der Tod, sondern immer das Leben, weil das Leben immer gewinnt!“

Text: Alicja Basilautzkis & Fots: Adrian Slota (dein.augenblick.mannheim) und Elise Storjohann - PR-AG - Schüler/innenpresse am Moll