Die Scouts aus dem LF Geschichte J1 und die PR-AG vertreten, zusammen mit ihrem Lehrer Herr Weber, unser Moll bei der großen Ausstellungseröffnung zum Fotoprojekt "Gegen das Vergessen" in der Villa Reitzenstein.

Für viele Schüler:innen des Moll-Gymnasiums war der 24.06.2023 ein ganz normaler Samstag – ausschlafen, entspannen und das freie Wochenende genießen. Das Leistungsfach Geschichte J1 und die PR-AG, beide unter der Leitung von Herrn20230624 114340 Kopie Weber, jedoch trafen sich gegen 9:15 Uhr am Hauptbahnhof Mannheim, um rechtzeitig den Zug nach Stuttgart zu bekommen.

Die Villa Reitzenstein, Amtssitz des Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, war das Ziel der kleinen Gruppe, die sich in den umliegenden Parks sichtlich wohlfühlte. Der Anlass dafür war die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ von Luigi Toscano, die im November 2022 auf dem Schulhof des Moll-Gymnasiums vorzufinden war. Die Gesichter der letzten Holocaust-Überlebenden wurden dabei mit Hilfe von Luigi Toscanos Kamera auf beinahe zwei Meter großen Leinwänden porträtiert, um den Betrachter:innen einen direkten Bezug zur Historie herzustellen. Die Geschichten dieser Porträtierten erzählen von Hunger, Verfolgung und Mord, von Leid, wie es nicht vorstellbar ist, und welches es dennoch gab. Daran möchte Luigi Toscano mit dieser Ausstellung erinnern, eine Verbindung zwischen „alt“ und „jung“ herstellen und mit Impulsen der Erinnerungskultur für den Demokratieerhalt sorgen.

Die Schüler:innen des Leistungsfachs Geschichte wurden genau dafür als Schüler:innenscouts ausgebildet und befassten sich im Unterricht ausgiebig und intensiv mit den Überlebenden. Sie lernten, was es heißt zu vergessen, und wie schmerzvoll es ist, sich zu erinnern. Mit ihrem Wissen sollten sie im Staatsministerium, wo der Ausstellung zu Ehren ein Programmtag ins Leben gerufen wurde, ihre Kenntnisse zur Verfügung stellen und den Besucher:innen einen Blick in die Geschichte der porträtierten Menschen verschaffen. So stellten Honia und Justus beispielsweise Walter Frankenstein vor, Anna und Laura gaben das Leben von Amira Gezov wieder und Angelos, sowie Georgi gaben den Menschen einen Bezug zu Andrzej Korcak-Branecki.

Bevor sie dieses Wissen jedoch mit den Besucher:innen teilen durften, bekamen sie vormittags noch einmal die Möglichkeit, ihre Notizen durchzugehen und sich etwas zu entspannen. Nach dem Mittagessen war es jedoch so weit - das Programm begann und zwar mit einer Podiumsdiskussion. Diese wurde von der stellvertretenden Regierungssprecherin, Caroline Blarr, eröffnet. Sie bezeichnete das „Erinnern“ als „nichts Statisches“, sondern dass „Erinnern“ immer auch „arbeiten“ heißt. Daraufhin erteilte sie das Wort an zwei Schülerinnen des Heidehof-Gymnasiums aus Stuttgart, das sich gemeinsam mit dem Moll-Gymnasium mit der Ausstellung befasst hatte, damit sie die Moderation übernehmen konnten. Die Schülerinnen Ella Wickström und Mia Helbig, beide aus dem Leistungskurs Geschichte des Moll-Gymnasiums, durften mit auf die Bühne und Teil der Podiumsdiskussion sein, wobei sie u.a. vom „Jewrovision“ berichteten, dem größten Contest für jüdische Kinder, um ihre musikalischen oder tänzerischen Fähigkeiten zu präsentieren. Emily Krämer, ebenfalls aus dem LF Geschichte, hat dazu im Vorfeld eigens einen Videoclip in mühevoller Arbeit zusammengeschnitten, welches den Besucher:innen auch später noch an der Station "Lebendige Erinnerungskultur" zum Ansehen zur Verfügung stand.

Auch Luigi Toscano war mit von der Partie und begann die Podiumsdiskussion mit einer kurzen Ansprache, wie er dazugekommen sei, dieses Projekt ins Leben zu rufen. Er erinnerte an die Flüchtlingswelle im Jahr 2015, als die vorige Willlkommenskultur in Hass umgeschlagen ist. Während andere Menschen deswegen auf Demonstrationen gegangen sind, wollte Luigi Toscano auch etwas tun, aber er fühlte sich nicht mit politischem Engagement verbunden. Stattdessen verknüpfte er seine Leidenschaft zu fotografieren mit seinem Wunsch, dem Rassismus entgegen zu wirken, was zur Entstehung des Projekts „Gegen das Vergessen“ führte. Im Anschluss kam Dr. Michael Blume, der Beauftragte Baden-Württembergs gegen Antisemitismus, zu Wort, wobei er auf den mittlerweile weit verbreiteten Gedanken einging, dass Antisemitismus „nur“ ein Verschwörungsglaube sei. Er ging auf seine persönlichen Erlebnisse ein, als er 2015 im Irak ein humanitäres Projekt geleitet hatte und einen latenten Antisemitismus wahrnahm, was ihn schockierte. Mit den Worten „Es kann keine Demokratie funktionieren, […] wenn ein Künstler, ein Politiker […] für einen Verschwörer gehalten wird.“, schloss er seinen Beitrag.

Der Präsident der Allukrainischen Assoziation der KZ- und Ghettoüberlebenden Borys Sabarko, selbst ein porträtierter Zeitzeuge und Autor mehrerer Artikel und Bücher, erzählte von seinen ganz persönlichen Erlebnissen, die in ihm so viele Emotionen und Erinnerungen auslösten. Da er selbst noch nicht so lange in Deutschland wohnt und sein „Deutsch schlecht ist, dafür [aber] Russisch“ spreche, wurden seine Worte von einem Übersetzer wiedergegeben. Borys Sabarko bezeichnete den Antisemitismus als „Symbol des Bösen“ und erinnerte an ein trauriges Jubiläum, das am 22.06.1941, mit dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion in die Geschichte einging. Alle Völker hatten darunter gelitten, aber die Jüdischstämmigen am meisten, so Sabarko. Er wurde 1935 in der ukrainischen Stadt Kalininske geboren und entkam dem Ghetto in Sharhorod. Mit drei Jahren, 1938, nahm er zum ersten Mal den Antisemitismus wahr, als all diejenigen erschossen wurden, die den Juden geholfen hatten. Seine Erzählungen schilderten die Solidarität zwischen den Ukrainer:innen und denen die jüdischstämmig waren, ließen einen um den Verlust seiner Familienmitglieder trauern, die im Krieg ums Leben gekommen waren, die Geburt seines Bruders zwanzig Tage vor Kriegsbeginn feiern und die Übelkeit aufsteigen, verursacht durch die brutale, menschenverachtende Verfolgung. Als er sich ans Publikum wandte, wollte er wissen, wie viele Juden in der Ukraine lebten, als sie zur Sowjetunion angeschlossen wurde und wie viele es heute seien. Keiner wusste die Antwort und so gab er sie selbst – nach dem Sowjetunionsanschluss befanden sich um die 2.700.000 Juden in der Ukraine, 2001 seien es nur noch 103.000 gewesen und heute noch weniger. Diese Zahlen, all seine Schilderungen, standen in einem derartigen Kontrast zur Umgebung, die voller Bienen, Blumen und Sonnenschein war, dass einem die Abartigkeit und Grausamkeit noch extremer erschien. „Menschen können alles ändern, nur nicht ihre Herkunft.“ – Diese Worte fanden große Zustimmung, denn auch heute noch werden Menschen mit jüdischem Hintergrund als „Juden“ abgespeichert, anstatt als Mensch gesehen und integriert zu werden. Um diesem Prozess entgegenzuwirken, widmete Borys Sabarko sich nach Kriegsende der Wissenschaft und dem Sammeln von Erinnerungen der verbliebenen Zeitzeugen. Diesbezüglich schrieb er ein Buch, „Leben und Tod in der Epoche des Holocausts“, in dem er auf 1500 Seiten seine Erinnerungen teilte und Gedanken niederschrieb.

Der Stuttgarter Autor und Sänger Nikita Gorbunov beendete die Diskussion mit einem Spoken-Word-Beitrag zu ebendem Thema des Holocausts, in dem er die nationalsozialistische Einstellung seines Vaters verarbeitet hat. Auch seine Familiengeschichte ist dabei ein wichtiger Punkt, die jüdisch-russisch geprägt ist und verschiedenste Meinungen beinhaltete, die nicht alle miteinander korrespondierten. Dass „die Wahrheit […] ein Monster“ sei, sticht besonders hervor und bezieht sich auf seine Erfahrungen.

Den Abschluss der Vorträge und zugleich den Anfang für die Schüler:innenscouts vertonten die drei Cellist:innen, Sarah Hahn, Josef-Viorel Dragus und Emil Riedel, mit einem Stück von Vivaldi. Trotz dieses erdrückenden und deprimierenden Themas, das die Menschen den gesamten Tag begleitete, war es dennoch ein wichtiges und interessantes Erlebnis, das von einer großen Relevanz ist. Dr. Michael Blume drückte das sehr schön aus, denn „wir erinnern uns nicht an die Geschichte für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft.“

Die Stuttgarter Zeitung berichtet über diese Eröffnung in zwei Artikeln, die in unserer Pressekategorie zu finden sind. Ebenso können weitere Bilder und auch Interviews auf unserem YouTube-Kanal und auf Instagram angesehen und angehört werden. Wir freuen uns über einen Besuch!

Text: Alicja Basilautzkis & Bilder: Alicja Basilautzkis, Elise Storjohann, Reham Kouzoo (9c) - PR-AG - Schüler:innenpresse am Moll

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